Das Leben ist nicht wie im Film. Nicht wie ein Buch und auch nicht wie aus den Gesprächen mit anderen, nach denen man sich deren Leben in den buntesten Farben imaginiert. Großmütter wurden seit meiner kleinsten Kindheit in ein Korsett der Über-Mutterrolle konstruiert, der wahrscheinlich niemand gerecht werden kann. Großmütter sind, natürlich, mütterlich. Sie backen und kochen den ganzen Tag, es gibt immer etwas Leckeres zu essen. Sie machen sich ständig Sorgen, um die Gesundheit und das seelische Wohlbefinden ihrer Enkelkinder. Sie stricken Pullover, machen Marmelade und am Ende des Besuchs darf man alles mit nach Hause nehmen. Ich würde lügen, wenn meine Großmutter nicht einiger dieser märchenhaften Charaktereigenschaften nachgegangen ist, auch sie steckte mir ab und zu Geld als finanzielle Unterstützung zu, auch sie hat Marmelade selbst gemacht und besitzt einen Garten. Aber meine Oma ist auch eine Person abseits ihrer Rolle als Frau und Mutter. Sie hat starke und schwache Momente. Sie mag es nicht mehr so gerne zu kochen, sie ist sehr religiös. Sie hat eine Gruppe aus Freund:innen, mit denen sie ähnliche Probleme hat, wie ich mit meinen Freund:innen, denn Streit, Neid, Enttäuschung, politische Konflikte durchleben auch 80-Jährige.